Fahrtensegelbericht -18 Tagen und 2448 Seemeilen von Busan nach Attu Island

Liebe (Segel-) Freunde,


gestern hatten wir Bergfest, d.h. die Hälfte der Strecke von Busan nach Attu Island/ Aleuten, ist geschafft: Gut 1.100 Seemeilen liegen jeweils hinter und vor uns. Zeit für ein Lebenszeichen über die Positionsmeldungen auf unserer Homepage hinaus.
Mit guter Wetterperspektive für die nächsten Tage sind wir am 8. Juni von Busan gestartet. Tatsächlich war es ein sehr entspanntes, angenehmes Segeln in Richtung Hokkaido, der nördlichsten der vier großen japanischen Inseln. Bei nordöstlichen Winden mussten wir zwar die ganze Zeit aufkreuzen, doch wehte es selten mit mehr als mit 4 bis 5 Beaufort. Das Japanische Meer (oder das Ostmeer, wie es die Koreaner nennen) war ziemlich ruhig - beste Bedingungen, um nach zwei Jahren wieder Seebeine zu bekommen.
Kurz vor Erreichen der Tsugaru-Straße, der Durchfahrt zwischen Hokkaido und der japanischen Hauptinsel Honshu, wurde es allerdings mühsam: Am 14. Juni volle 7 Beaufort auf die Nase, Schiebestrom, d.h. eine klassische Wind-gegen-Strom-Situation - Waschmaschine pur. Als wir nach mehreren Stunden Aufkreuzen gegen die chaotische See keinen wesentlichen Boden gut machen konnten, gaben wir zunächst auf und ließen über Nacht das Schiff beigedreht driften. Am nächsten Morgen um vier Uhr, gut ausgeschlafen, der nächste Versuch dicht unter Land. Tatsächlich war die Straße an diesem Tag zahm. Bereits gegen Mittag war die letzte Engstelle der Passage erreicht, der Strom spülte uns in den Nordpazifik. Mit 5 Beaufort eigentlich ideale Bedingungen, dann folgte die nächste Überraschung: Kurz hinter der Ausfahrt, über einer 50 m-Barre, ein geschlossener Ring von Brandungswellen. Ehe wir uns versahen, ging es durch drei Reihen mehrere Meter hoher, sehr steiler Brecher. Um uns heru
m dichter Schiffsverkehr – voll konzentriert auf unseren Kurs, nahmen wir doch aus den Augenwinkeln wahr, dass große Frachter fast die gleichen Bocksprünge machten wie wir. Nach den Brechern folgte eine wilde Kreuzsee, dann ebbte der Schiebestrom ab, und der Spuk war genauso schnell vorbei, wie er gekommen war. Wir können uns nicht an Vergleichbares erinnern. Mitursächlich waren vermutlich die Nachwehen eines Zyklons, der zwei Tage vorher die japanische Ostküste entlang gezogen ist.
Seit diesem kurzen Schrecken ist der Nordpazifik wieder so, wie wir ihn kennen. Wir haben Hokkaido bereits hinter uns gelassen und segeln in gebührendem Abstand von mindestens 60 Seemeilen die Kette der Kurilen entlang. Auf VHF Kanal 16 hört man nur noch russisch, gerne wird auch mal ein Liedchen geschmettert.
Momentan herrscht eine ausgeprägte Hochdrucklage, das heißt: wenig Wind, viel Nebel. Mit ständiger Überwachung von Radar und AIS (inklusive Annäherungsalarm) fühlen wir uns sicher. Noch besser wäre es, wenn unser AIS nicht nur auf 2 ½ Seemeilen wie im Augenblick, sondern auf 25 Seemeilen wie gewohnt funktionieren würde. Die Ursache haben wir schon ausgemacht: Eine abgeknickte Antenne auf der obersten Saling. Wir können nur vermuten, dass ein Seevogel unnützerweise die Saling als Landeplatz auserkoren hatte. Kontaktaufnahme mit einem Dampfer hat immerhin bestätigt, dass wir über AIS auf diese verkürzte Entfernung nicht nur selbst andere Schiffe erkennen, sondern auch gesehen werden. Über Radar sehen wir andere Schiffen spätestens in 7 Seemeilen Entfernung (für die Fachleute: das Radar verfügt ebenfalls über ARPA, naturgemäß sind die selbst geplotteten Daten aber bei weitem nicht so präzise wie der Austausch der Positions- und Bewegungsdaten über AIS).
Montagabend wird hinter unserem Heck von Backbord nach Steuerbord ein kleines Tief durchgehen, d.h. der Wind wird von südöstlichen auf nordöstliche Richtungen drehen, also wieder von vorne wehen und dabei auf 5 Beaufort, in Böen 7, auffrischen.  Um eine bessere Ausgangsposition zum Aufkreuzen zu haben, weichen wir schon jetzt von unserer bisherigen Großkreisroute etwas nach Osten ab – vielleicht in den Positionsmeldungen auf unserer Homepage zu erkennen.
Von Tag zu Tag wird es kälter. Die Wassertemperatur beträgt 5 Grad, im Salon wird es nicht mehr wärmer als 15 Grad. Wir sind froh, uns in Deutschland noch mit entsprechender wintergeeigneter Outdoorbekleidung ausgestattet zu haben. Insbesondere die neue Thermounterwäsche sowie die Fleece- und Daunenjacken sind eine Wucht, um nicht zu sagen überlebenswichtig. Zur Zeit sitzen wir unter Deck, jeweils mit einer Gel-Wärmflasche im Rücken.
Es geht uns also gut, und wir freuen uns auf den rauen Norden, insbesondere die artenreiche Tierwelt. Gerade hatten wir die erste Walsichtung, In dichtem Nebel kreuzte direkt hinter unserem Boot, unser Wegerecht respektierend, ein vielleicht 7 Meter langer Wal.
Wenn alles glatt geht, müssten wir Attu bis Ende des Monats erreichen. Wir wollen aber mit unserem Diesel weiter sparsam umgehen und weiterhin jede kleine Brise zum Segeln nutzen. Zwar haben wir reichlich Diesel an Bord, eneben den Schiffstanks zwei flexible Tanks mit je 400 Litern an Deck (zu erkennen auf dem Foto unseres letzten Eintrags auf unserer Homepage), aber den brauchen wir auch zum Heizen für unsere Webasto- deren Gebrauch wir uns bisher jedoch verkniffen haben. Denn wer weiß, was an Schwachwindfeldern noch auf uns zu kommt. Außerdem besteht die erste Nachtankmöglichkeit auf der Aleuteninsel Adak, rund 400 Seemeilen östlich von Attu.
Noch ein kleiner Nachtrag zu unserem „Landurlaub“ in Südkorea: Wir sind 10 Tage mit einem Mietwagen mit Fahrer/Tour Guide von Seoul nach Busan gefahren. Land und Leute haben uns gut gefallen, doch dazu bei anderer Gelegenheit mehr. Ein kleiner Makel: Nachdem wir die gesamte Coronazeit bisher infektionsfrei geblieben sind, hat uns unser Guide auf den letzten Metern doch noch angesteckt. Die Verlockung, nach zwei Jahren endlich wieder Kunden zu haben, war für ihn offenbar größer als seine Vorsicht. Glücklicherweise haben wir uns nicht unserer Hausärztin in Essen geschlagen gegeben, die unsere zweite Booster-Impfung (also die vierte Impfung insgesamt) mit Verweis auf unser Alter und die fehlende Empfehlung der StIKo abgelehnt hatte. Eine ebenfalls in Heisingen niedergelassene Kollegin war einsichtiger und verpasste uns kurz vor unserer Abreise noch die erbetene Impfung. So hatten wir einen sehr milden Verlauf, wie eine banale Erkältung, ganz im Einklang mit einer engl
ischen Studie, die der vierten Impfung eine auf vier Tage halbierte Symptomdauer zuschreibt. Für unsere Startvorbereitungen inklusive Besuche von Behörden, Supermärkten, Kontakte mit unserem Klarierungsagenten, Einladungen von Stegnachbarn in der Marina etc. war die notwendige Selbstquarantäne jedoch alles andere als hilfreich und hat uns ein paar Tage gekostet.
Auch so etwas gehört aber auf das Konto „Reiseerlebnisse“. An denen werden wir Euch auch weiterhin teilhaben lassen und bedanken uns nochmals herzlich für die vielen guten Wünsche vor der Abreise und Eure Einträge auf unserer Homepage, die für uns schon so etwas wie unser „nautisches Poesiealbum“ geworden ist.


Eure Alumni
Sylvia und Org

Liebe (Segel-) Freunde,

heute Morgen, am 26. Juni, sind wir nach 18 Tagen und 2448 geloggten Seemeilen auf Attu, der westlichsten der US-amerikanischen Aleuten, angekommen. Wir waren uns sicher, die einzigen Menschen auf der kargen, unbewohnten Insel zu sein. Der Name unseres Ankerplatzes, die Massacre Bay, spiegelt den rauen, abweisenden Charakter wider -, doch kaum lag der Anker, wurden wir von einem amerikanischen Forschungsteam über VHF Kanal 16 freundlich begrüßt: „Hello Alumni,…“

Fast die gesamte Strecke von Busan/Südkorea an sind wir hoch am Wind gesegelt, in der zweiten Hälfte der Reise meist mit 5 bis an die 7 Bft – die permanente Krängung und das Geschaukel für den Smut eine ziemliche Herausforderung und für die gesamte Besatzung manchmal etwas zermürbend. Auch die langen Wachrhythmen bei kleiner Crew (je nach individueller Tagesform 4 bis 6 Stunden) waren schon recht anstrengend. Ab Hokkaido hatten wir viele Tage dichten Nebel – je weniger Wind herrschte, der das Gemisch aus kalter, warmer und feuchter Luft hätte abtransportieren können, umso undurchdringlicher wurde die Nebelsuppe. Die Wachen erforderten also volle Konzentration – Musikhören und Lesen wie auf lauschigen Passatstrecken war nicht.

Die letzten paar Tage verliefen wieder recht entspannt. Der Wind raumte, und wir segelten inzwischen deutlich nördlich der Großschifffahrtsroute Nordamerika – Fernost/Südostasien: Nur noch alle paar Tage kreuzte ein Dampfer unseren Kurs. Dafür wurde es immer kälter – ohne die nur sparsam eingesetzte Bootsheizung betrug die Temperatur im Salon höchstens 13 Grad, in den anderen Kabinen darunter.

Statistisch (gemäß den für jeden Monat herausgegebenen US Pilot Charts) können wir mit den Bedingungen auf unserer Passage sehr zufrieden sein: Wir hatten weder mit echtem Sturm noch mit langanhaltenden Flauten zu kämpfen. Diesel haben wir nicht viel benötigt – die größten Verbraucher waren der Generator und die Bootsheizung. Die Zusatztanks an Deck hätten wir uns also sparen können.

Trotz der günstigen Bedingungen hat sich ein gewisses Schlafdefizit aufgebaut. Wir wollen daher erstmal ein paar Tage auf Attu verbummeln und testen, was unsere neue Angelausrüstung aus Japan taugt, bevor wir der Kette der Aleuten weiter in Richtung Osten folgen. Nach einem 400-Seemeilen-Sprung über die Bering-See ist unser nächster Stopp auf Adak eingeplant. Generell soll die Tier- und Pflanzenwelt immer attraktiver und die Landschaft immer dramatischer werden. Die ersten Braunbären und Bäume gibt es zwar erst 900 Seemeilen weiter auf dem alaskischen Festland zu sehen, doch für uns beginnt ab jetzt gefühlt der richtige Urlaub…

Liebe Grüße von
Euren Alumni

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